Wagen 1 im Bestand der Rostocker Nahverkehrsfreunde

©Karsten Paetzold

Nur echt mit dem roten Streifen

„Was ist gelb, hat einen roten Streifen und quietscht?“

Auf diese Frage antwortete jedes Kind in Rostock früher „Eine Straßenbahn!“. Können Sie sich noch daran erinnern? Genau 25 Jahre ist es her, dass die letzte gelbe Bahn auf Rostocks Schienen im Einsatz war. Die letzten Bahnen, die von der heutigen blauen Flotte abgelöst wurden, waren die Gelenkwagen des Typs G4.

Exportschlager Straßenbahn

Die Straßenbahnen des Typs G4 wurden von der VEB Waggonbau Gotha produziert. Von 1959 bis 1966 wurden in Thüringen insgesamt 319 Exemplare gefertigt. Davon wurden 101 Wagen in die Sowjetunion exportiert und 218 verblieben in der DDR. Rostock erhielt von 1961 bis 1966 insgesamt 21 Wagen. Charakteristisch für diese Bahnen war je ein 2-achsiger Trieb- und Beiwagen, die durch einen schwebenden Mittelteil miteinander verbunden waren.

Grund für die Entwicklung dieses Wagentyps war der fortschreitende Personalmangel. Zu dieser Zeit fuhren Straßenbahnen nämlich noch mit Schaffnern. Für einen Zug, bestehend aus einem Trieb- und einem Beiwagen, waren ein Fahrer und 2 Schaffner notwendig. Mit den vergleichbar großen Gelenkwagen des Typs G4, benötigte man einen Schaffner weniger.

Foto: Gotha-Gelenktriebwagen vor der Werkstatthalle des Betriebshofs, 1962 (©RSAG)

Kleiner Exkurs: So wurde früher ein- und ausgestiegen

An der hinteren Tür befand sich der Haupteinstieg mit einem festen Schaffnerplatz. Hier mussten alle Fahrgäste vorbei und ein Ticket lösen oder ihre Monatskarte vorzeigen. Der Schaffner musste nicht mehr durch den Wagen laufen, sondern konnte sitzend arbeiten.
An der vorderen Tür, gekennzeichnet mit einem „Z" für Zeitfahrkarte, durften nur Fahrgäste mit einer Monatskarte einsteigen. Dies kontrollierte der Fahrer.
An der mittleren Tür durfte nur ausgestiegen werden.

Ab 1964 wurde dann schrittweise der schaffnerlose Verkehr eingeführt. Von da an konnten alle Türen zum Ein- und Aussteigen genutzt werden.

Foto: Einführung des „Z-Systems" (Z=Zeitkarte) am Beispiel eines Gotha-Triebwagens T57 (©Peter Dönges)

Komfort und Fahrgefühl

Und die Gothawagen hat noch mehr Neuerungen zu bieten: u.a. elektrisch öffnende und schließende Falttüren oder die Polstersitze in Fahrtrichtung, statt Holzsitze in Abteilform.

Aber auch für das Fahrpersonal hielten die Straßenbahnen eine wichtige Neuerung parat. Von nun an wurden die Bahnen mit einem mittig angeordneten Schaltrad bedient und nicht wie zuvor mit der links angeordneten Kurbel. Dies führte zu einer besseren Sitzhaltung beim Fahren. Das war gerade für kleineres Personal wichtig, vor allem vor dem Hintergrund, dass mehr Frauen für diesen Beruf gewonnen werden sollten.

Ausstattung mit Polstersitzen (Foto: Karsten Paetzold)

Einen Nachteil hatte der Typ G4 dann aber doch: Er war nicht zur Behängung mit einem Beiwagen vorgesehen. So konnte er einen Zug aus drei 2-achsigen Fahrzeugen zunächst nicht vollwertig ersetzen. Dies erfolgte erst ab der Lieferung von 1966. Bei den zuvor angelieferten Fahrzeugen, wurden diese in der eigenen Werkstatt nachgerüstet.

Abschied auf Raten

Die Wagen waren zunächst auf der Linie 2 (Hauptbahnhof – Reutershagen) im Einsatz. Hier erwiesen sie sich als zu klein und wurden daher schnell auf die Linien 1 (Hauptbahnhof – Platz der Jugend) und 11 (Hauptbahnhof – Neuer Friedhof) umgesetzt.

Um die Neubaustrecken nach Dierkow und Toitenwinkel zu betreiben, wurden ab 1983 15 weitere Wagen aus Leipzig übernommen. Diese befanden sich in einem schlechten Zustand und erforderten viel Aufwand in der Werkstatt. Eigentlich sollten die Gothawagen bereits ab 1990 durch Tatrawagen ersetzt werden. Da man sich aber umorientierte und für Niederflurwagen entschied, wurde diese Bestellung wieder storiert. Das bescherte den G4 eine „Gnadenfrist“. Sie wurden nochmals gründlich überholt. Auffällig war dabei der Ersatz der Kunstlederpolster durch Stoffsitze.

Eine neue Ära

1996 war es dann allerdings soweit: Rostock erhielt 40 Niederflurwagen des Typs 6N1. Nach 40 Jahren wurden die Gothawagen in den Ruhestand versetzt. Am 15. Juni 1996 wurden sie mit einem Fest auf dem RSAG-Betriebshof würdevoll verabschiedet.

Fotos: Abschied der Gothawagen am 15.06.1996 (©RSAG)

Wussten Sie, dass Sie in Rostock auch heute noch mit einer Gotha-Straßenbahn fahren können? Wagen 1 aus dem Baujahr 1961 wurde als Traditionswagen von den Rostocker Nahverkehrsfreunden aufgearbeitet. Er kann für private Feiern gemietet werden und kommt regelmäßig bei Fahrtagen zum Einsatz.

Mit der RSAG auf Zeitreise

Die RSAG-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind wahre Zeitzeugen. Für die Zeitreise zu den Gotha-Gelenktriebwagen bedanken wir uns bei

Frank Möller
(Mitarbeiter Leitstelle/Technologie)

Weitere Beiträge